Interview
Wie und wann hast Du mit der Fotografie angefangen?
Mit sieben Jahren habe ich erstmals fotografiert. Mit einer 6×6 Dacora Kamera. Aber wirklich angefangen habe ich erst mit fünfzehn. Damals hat mich mein Schulfreund Bernhard Burckhardt in sein Fotolabor mitgenommen. Ein magischer, faszinierender und stiller Ort. Alles in rotem Licht. Als ein erstes fotografisches Abbild auf dem Papier im Entwicklerbad erscheint, da wusste ich: Ich werde Fotograf! Der Entschluss war gefasst. Als erstes richtete ich mir im Schlafzimmer eine Dunkelkammer ein und begann in alle Richtungen zu experimentieren. Mit neunzehn, nach Abschluss der Schule, machte ich meine erste grosse Reise. Einmal um die Welt sozusagen. Zuerst nach Istanbul, den Vorderen Orient, nach Afrika, Indien und Asien. Alleine und ohne Kamera. Mit 20 kehrte ich in die Schweiz zurück und begann Anfang 1973 meine Ausbildung zum Fotografen. Den Job bei meinem zukünftigen Lehrmeister hatte mir ein Freund meines Vaters besorgt. Ich hatte Walter Kägi in Hong Kong kennengelernt, und er verschaffte mir meinen ersten Zugang zur professionellen Fotografie.
Mein Arbeitgeber Onorio Mansutti war ein erfolgreicher Modefotograf, seine drei Laboranten und ich, wir arbeiteten jeweils unter Hochdruck. Täglich wurden bis zu 500 Schwarz-Weiss Filme entwickelt, aufgrund der Kontaktkopien die besten Bilder ausgesucht, vergrössert und retuschiert. Dabei lernte ich viel, schnell und bekam die nötige Routine. Nebenbei realisierte ich Sequenzen, meine ersten eigenen Fotogeschichten, inspiriert vom US-amerikanischen Fotografen Duane Michals. Damals war es noch die Zeit der hohen Kunst der analogen Schwarz-Weiss Fotografie. Alles schien möglich. Eines Tages kam Besuch aus Paris. Peter Knapp, erfolgreicher Fotograf und zugleich Chefredaktor der Modezeitschrift Elle; und ich wurde abgeworben.
Wieso Paris?
Peter Knapp stattete Onorio einen Besuch ab und sah sich bei dieser Gelegenheit meine Arbeiten an. Ihm gefielen meine Fotosequenzen, und er meinte: „Du verkümmerst in der Schweiz, hier fehlt es an Möglichkeiten und am kreativen Umfeld. Die Schweiz ist nichts für Dich, Du bist viel zu talentiert! Komm am 1. November nach Paris, da lernst Du Neues und kannst für eine Zeit bei mir als Assistent arbeiten!“ Ende Oktober packte ich meinen Koffer, fahre nach Paris und beziehe eine winzig kleine Mansarde in einem heruntergekommenen Hotel. Nur Peter Knapp war nicht da, er weilte bis Ende Jahr in Peru. Dennoch ein Glücksfall. Ich stellte mich bei anderen renommierten Fotografinnen und Fotografen vor und bekam viele verschiedene Jobs als Assistent, hauptsächlich im Bereich der Modefotografie. Ich habe viel gearbeitet, viel gelernt und es hat mir ausnehmend gut gefallen in Paris. Die Abende verbrachte ich entweder in der Alliance Française um mein Schulfranzösisch aufzubessern oder in der Cinémathèque Française, wo ich mir pro Abend jeweils drei bis vier Filme angeschaut habe. Dort habe ich die Arbeit von grossen Cineasten und wunderbare Filme studieren können. In diesem kleinen und exklusiven Kinosaal habe ich gelernt zu sehen, filmisch und fotografisch zu denken und Geschichten zu erzählen. Dies war die beste Erfahrung, die man sich vorstellen kann, wahrscheinlich ergiebiger als jede Filmhochschule. Die praktische Erfahrung als Assistent und die Abende im Kino haben mich geprägt.
Nach drei Jahren Modefotografie und Cinémathèque hatte ich allerdings genug von Paris und der Mode und dem ganzen Spektakel drumherum. Ich entschied mich, die Fotografie an den Nagel zu hängen und Filmemacher zu werden.
Wie das? Und vor allem wie ging es weiter?
Ich fuhr zurück in die Schweiz, lernte viel Filmtheorie aus Büchern, wollte dennoch versuchen, ob eine Schule etwas wäre für mich und bewarb mich an den Filmhochschulen in Berlin und München. Und fiel prompt bei beiden Examen durch. So blieb mir nur die Praxis. In Basel gab es damals zwei Filmproduktionsfirmen, die Dokumentarfilme auf 16mm drehten und endfertigten. Kern Film und Hubschmid Film. Auch hier bewarb ich mich, bekam gleich beide Stellen und konnte bei beiden Firmen als Kameraassistent arbeiten und mir so eine fundierte Ausbildung aneignen. Da wir jeweils nur in ganz kleinen Teams arbeiteten, zu zweit oder zu dritt, musste ich überall mitanpacken. Also nicht nur das Filmmaterial einlegen und Schärfe ziehen, sondern auch das Gerät in der Gegend rumtragen, Ton aufnehmen, Standfotos anfertigen, ausleuchten, Drehbuch und Drehplan studieren, Ideen mitentwickeln, bei den Anschlüssen und bei der Regie mitdenken, Trickfilme drehen und im Studio durfte ich den Technikern beim Schnitt und bei Tonaufnahmen über die Schulter schauen. Alles, was es an Rüstzeug braucht für den späteren Beruf als Filmemacher.
Hast Du auch eigene Filme gedreht?
Filmemachen war damals sehr teuer. Filmmaterial musste gekauft, entwickelt und kopiert werden. Ein äusserst komplizierter Prozess. Zudem, einen Film zu realisieren war und ist keine einfache Sache, jeder Vorgang muss genau kalkuliert und durchdacht sein. Nichtsdestotrotz, kaum beim Film gelandet, kam mir während eines kommerziellen Drehs eine Idee: Im Filmstudio stand ein grosser Buchstabe, ein grosses e aus Styropor. Nach dem Dreh durfte ich den Buchstaben behalten und produzierte damit meinen ersten Film. Ohne viel Kenntnisse, aber mit einem ungeheuren Enthusiasmus, drehte ich, zusammen mit einigen guten Freunden und Stefan Burckhardt als Kameramann, mein Erstlingswerk: Berg-e oder die Leiden des e-syphus. Ein Experimentalfilm, gedreht in den Schweizer Hochalpen. Der 17-minütige Film wurde zwar kein Meisterwerk, aber zu den Solothurner Filmtagen eingeladen, und ich wusste jetzt, was es alles braucht, um einen Film zu realisieren. Und man stelle sich vor, über 45 Jahre später, mitten in der Pandemie wurde der Film abermals vorgeführt. Als Eröffnungsfilm am Edgar Reitz’ Heimat-Film-Festival in Simmern, unter freiem Himmel und grossem Applaus.
Wie gefiel Dir das Filmemachen im Vergleich zur Fotografie?
Filmemachen war für mich eine neue und ganz andere, spannende Herausforderung, dennoch habe ich meine fotografische Arbeit weiterhin verfolgt. Bei Kern Film gab es ein gut ausgerüstetes Fotolabor, so konnte ich nebenbei weiter meine fotografischen Ideen umsetzen. Beim Film ist man an ein Team gebunden. Man kann nicht alle Aufgaben selber übernehmen. Und je grösser die Ansprüche, desto grösser die Filmequipe. Ganz anders die Fotografie, da kann man auch alleine losmarschieren, ist beweglicher, weniger zeitabhängig und kann so mit tollen Geschichten zurückkommen. Die Fotografie ist auch um einiges weniger kostenintensiv. Allerdings sind die Verwertungsmöglichkeiten ganz anders, man erreicht normalerweise ein kleineres Publikum. Die Fotografie ist bescheidener. Aber bei beiden Disziplinen gilt: Man muss etwas zu sagen haben, es vermitteln können und eine eigene Bildsprache entwickeln.
Deine Ausbildung als Kameramann hast Du jedoch abgebrochen.
Abgebrochen ist der falsche Ausdruck. Wir hatten Dokumentarfilme in Kolumbien, im Schweizer Hochgebirge, Industriefilme in der ganzen Schweiz, Werbefilme mit Bernard Grzimek, Trickfilme für Herzchirurgen gedreht. So war ich involviert in viele verschiedene filmische Abläufe. Ich war der Meinung, ich hatte nach zwei Jahren intensivem Studium bei den Kameramännern Fred Hufschmid und Heinz Kremer genug gelernt und ein gutes Rüstzeug für mein weiteres Schaffen gesammelt. Ich brauchte eine grundlegende Veränderung, ich musste fort! Nach New York.
Wieso New York?
„Manhattan“ war damals ein Zauberwort. New York, die Metropole, Treffpunkt für Künstler, Modeschöpfer, Fotografen, Filmer und kreative Köpfe. Zudem hatte ich Freunde dort und wollte mich weiterbilden. Fernab von Europa. Eine andere Sicht gewinnen auf die Dinge und Tätigkeiten in meinem näheren und neuen Umfeld.
Und wie bist Du vorgegangen?
Zuerst habe ich mich an der Cooper Union für dramaturgischen Filmschnitt eingeschrieben und mich inspirieren lassen. Aber alles kam anders. Nach zwei oder drei Wochen durfte ich mich auf Empfehlung meiner Freundin Antoinette bei Time Life vorstellen und bekam eine provisorische Anstellung. Aber soweit kam es gar nicht. Am gleichen Abend organisierte Antoinette ein Dinner für einen Freund, einen Kapitän, der anderntags mit seinem Segelschiff in See stechen wollte. Richtung Karibik. Und er brauchte noch einen Matrosen. Segeln oder eine Anstellung bei Time Life? Keine einfache Entscheidung. Anderntags und 24 Stunden später war ich mit von der Partie und auf hoher See.
Aber so hast Du Dir ja Deine Zukunft verbaut.
Nein, ganz im Gegenteil. Aber das wusste ich noch nicht, in jener Nacht, als ich eine richtungsweisende Entscheidung traf. Zudem war diese dreimonatige Reise auf hoher See ein einmaliges Erlebnis, das ich nicht missen wollte. Was für eine Welt, dort draussen nur umgeben vom Meer, dem Himmel, den Sternen, den Gefahren und Stürmen. Dieses Existentielle, dieses Einzigartige, etwas was man an Land nie erleben kann. Und dann kam das Eine doch: etwas, was ich mir irgendwie erhofft hatte, etwas Neues, Innovatives. Zurück aus der Karibik spazierte ich nochmals zur Cooper Union. Auf dem Weg dorthin sah ich einen jungen Mann der Zeitschriften verkaufte, die nicht ins normale Sortiment passten. Eine davon hiess Picture Newspaper. Ich kaufte zwei Ausgaben, Nummer eins und zwei. Fasziniert fasste ich den Entschluss, dass ich so etwas für Europa produzieren wollte.
Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg?
Genau, so war es. Sechs Monate später erschien zuerst Palm Beach News, dann The Village Cry.
Dabei hattest Du weder eine grafische Ausbildung noch jemals eine Zeitung hergestellt.
Das stimmt und verwundert mich heute noch. Aber ich hatte Glück, nebenan wohnte der Grafiker Robert Hiltbrand. Wir sassen oft gemeinsam in der Fischerstube im Kleinbasel beim Bier. Als die Idee aufkam, eine Zeitung zu gestalten, erzählte ich ihm von meinem Vorhaben. Er bat mich, ihm das Foto für das geplante Titelbild zu geben. Zwei Tage später zeigte er mir seinen Entwurf. Ich war begeistert, genau was ich mir vorgestellt hatte! Dann erklärte er mir, wie man Bilder auf eine Seite setzt. Ebenso das mit der Diagonale, den Grössenverhältnissen, all die wichtigsten Grundbegriffe, um eine Zeitung zu gestalten. Zudem studierte ich das Buch „Typographie“ von Emil Ruder. Das war meine Grundschule für Grafik, Zeitungs- und Buchgestaltung. Eine Schnellbleiche sozusagen.
In der Nummer vier von The Village Cry sind auch Deine Fotografien von Klaus Kinski erschienen. Wie kam es zu diesem Kontakt?
Nach der Architekturnummer, die wir mit Jacques Herzog und Pierre deMeuron gestaltet hatten, wollten wir uns dem Film widmen. Mein Freund Minas, der griechische Ma- ler aus Paris, rief mich während der Vorbereitung an und berichtete, dass Klaus Kinski einen Film unter der Regie von Just Jaeckin drehe. Da ich während meiner Pariser Zeit als Assistent unter anderem auch bei Just Jaeckin gearbeitet hatte und wir befreundet waren, nahm er mich aufs Filmset von Madame Claude mit. Just Jaeckin war der Regisseur des Filmes, so kam es zu meinem ersten Treffen mit Klaus Kinski. Klaus und ich, wir haben damals den ganzen Tag ohne jegliche Erlaubnis der Produktion in seiner Garderobe in einem Schloss etwas ausserhalb von Paris fotografiert. Zwei Monate später erschien Klaus auf dem Titelblatt. Und dieses Foto wiederum hat mich zu Werner Herzog gebracht.
Das heisst, wärst Du damals nicht zur See gefahren, wärst Du nicht beim Deutschen Film gelandet?
Das kann ich nicht beurteilen, und man weiss ja auch nicht, wer oder was das Leben lenkt. Aber ganz abwegig ist es nicht. Ich versuche meine Entscheidungen nicht auf Grund von Spekulationen oder Profitdenken zu treffen, sondern ich mache das, was ich für richtig und angemessen halte. Bedingt durch die jeweilige Situation, die sich gerade auftut.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Werner Herzog?
Anfang der 80er Jahre arbeitete ich als Fotoreporter für die Schweizer Illustrierte. Eines Tages erzählte der Chefredaktor während einer Redaktionssitzung Werner Herzog würde im peruanischen Urwald unter schwierigsten Bedingungen einen Film drehen, Jason Robards sei krank geworden und abgereist. Auch Mike Jagger und Mario Adorf seien mit von der Partie. Das wäre doch was für mich, meinte er. Ich rief bei der Werner Herzog Film in München an, sprach mit Lucki Stipetic, dem Bruder von Werner Herzog, erzählt ihm von meiner Ausbildung zum Fotografen und Kameraassistenten. Er bat mich, ihm einige Arbeiten zur Ansicht zukommen zu lassen. Ich hinterliess meine Telefonnummer und schickte noch am selben Tag eine Ausgabe von The Village Cry nach München. Mit Klaus auf dem Titel. Dann passierte erstmals gar nichts.
Und wie ging es weiter?
Sechs Wochen später bekam ich einen Anruf vom Kameramann Thomas Mauch, ob ich nach wie vor an dem Job interessiert wäre und ob ich umgehend nach München kommen könne zu einem Anstellungsgespräch. Vier Tage später war ich auf dem Flug nach Iquitos in Peru. Auf dem Weg zu einem grossartigen Filmabenteuer: Fitzcarraldo, dem Urwaldepos von Werner Herzog mit Klaus Kinski und Claudia Cardinale.
Wie ist es Dir ergangen als Neuankömmling?
Einfach war es nicht. Neben Klaus war ich der einzige „Neue“. Ich musste mich zuerst einmal zurecht finden auf dem fremden und tropisch heissen Terrain und mich mit den anderen Teammitgliedern anfreunden. Zudem hatte ich zwei Jobs zu bewältigen: Ich war Standfotograf und zugleich der zweite Kamera- und Materialassistent. Nach zwei oder drei Wochen aber hatte ich mich gut eingelebt und von da an begannen mir die Dreharbeiten wirklich Spass zu machen. Viel schwieriger war es, sich nach sieben Monaten Drehzeit im Urwald und unter Extrembedingungen wieder an das Leben in der Schweiz zu gewöhnen.
Es wurde viel über die Dreharbeiten berichtet. Was für Erfahrungen hast Du gemacht?
Für mich war es ein grosses Abenteuer und Glück, dass ich bei Fitzcarraldo mit dabei sein durfte. Werner Herzog ist ein faszinierende Persönlichkeit, er kann sehr unterhaltsam sein, gleichzeitig aber immer fokussiert mit einem enormen Willen, seine Träume – mögen sie noch so ausgefallen sein – zu verwirklichen. Klaus Kinski, kontrovers, oft aufbrausend und nicht immer einfach, war ebenso ein Glücksfall für mich. Wir beide kannten uns ja bereits seit Paris, er mochte meine Bilder, und das war unser gemeinsamer Nenner, nur das ermöglichte überhaupt diese außerordentlichen Fotografien, die wir oft auch gemeinsam erarbeitet haben. Zudem, solch schwierige Dreharbeiten in einer so extremen Natur, wie im tropischen Regenwald, schweisst die Leute zusammen.
Die wirklichen Schwierigkeiten lagen ganz woanders: Wie konnte man die „Molly Aida“, das 250 Tonnen schweres Boot über einen Berg im Urwald hieven? Monatelange Anstrengungen waren nötig, um Werners Traum in die Realität umzusetzen, ein Unterfangen, das ohne den Produktionsleiter Walter Saxer nie möglich gewesen wäre. All die Geschichten, welche an die Weltöffentlichkeit drangen und in der Presse herumschwirrten, waren meist verzerrt oder Halbwahrheiten – fake news, wie man heute sagen würde, meist bar jeder Grundlage. Schon alleine deshalb, weil niemand von der Presse Zugang zum Set bekam. Wir waren mehr als gut von der Aussenwelt abgeschirmt, und damals gab es weder social media noch rasante Übermittlungen wie heute. Wenn jemand eine seriöse Reportage anfertigen wollte, dann musste er oder sie vor Ort einen Augenschein nehmen. Das wiederum war niemandem erlaubt.
Sechs Jahre später arbeitest Du abermals mit Kinski und Herzog.
Ja. Dieses Mal war ich als Standfotograf mit dabei. Das war angenehmer, weil ich mich ganz auf meine Arbeit als Fotograf konzentrieren konnte, ohne diese enorme Doppelbelastung wie bei Fitzcarraldo. Der Film hiess Cobra Verde, gedreht in Ghana, Kolum- bien und Brasilien. Eine Geschichte über den Sklavenhandel, basierend auf dem Roman The Viceroy of Ouida von Bruce Chatwin, der uns in Ghana, auf dem Filmset in Tamale besucht hat. Beide Filme waren grossartige Erlebnisse für mich – Filmabenteuer, wie es nur wenige in der Filmgeschichte gibt und wohl immer weniger geben wird. Ich glaube auch, dass mich die Filmarbeit mit Herzog und Kinski sehr geformt hat. Ohne diese beiden Filme wäre mein Leben völlig anders verlaufen.
Wie verlief Dein Leben weiter?
Im Anschluss an die Dreharbeiten von Cobra Verde blieb ich für drei weitere Monate in Brasilien und kehrte erst im Spätsommer 1987 nach Europa zurück, führte Regie für zwei oder drei medizinische Filme und veröffentlichte mit Werner Herzog – Cobra Verde mein drittes Buch. Auf einem Filmset lernte ich die Grafikerin Vera Pechel ken- nen. Sie war die Hauptdarstellerin in einem Werbefilm, während ich die Kamera führte. Wenige Wochen später fuhren wir gemeinsam mit einem Chevrolet Caprice durch Amerika, drehten im Auftrag des amerikanischen Produzenten und Regisseurs David Knaus zwei Filme, einer davon über den wunderbaren amerikanischen Fotografen Milton Rogovin, der mich sehr beeindruckt und inspieriert hat. Als nach sechs Monaten das Geld ausging retournierten wir in die Schweiz. Wir hielten uns mit grafischen und filmischen Aufträgen über Wasser, dann kam ein Buchauftrag aus Bangkok. Nach diesem Auftrag in Fernost begann Vera sich auf Buchproduktionen im Bereich Architektur und Fotografie zu konzentrieren. Auch die meisten meiner Bücher (siehe Rubrik Publications auf dieser Webseite) sind von ihr entworfen und endgefertigt, ebenso das Original Design dieser Webseite. Nach der Reise nach Bangkok bekam ich eine Offerte gemeinsam mit meinem Freund Azman Ismail in Madagaskar einen Dokumentarfilm zu realisieren. Was ich gerne tat und den wir nach Abschluss unter dem Namen „Reise-Kabary“ dem Schweizer Fernsehen verkaufen konnten. Gleichzeitig war das ein Wendepunkt.
Der Wendepunkt?
Ich hatte keine Lust mehr auf irgendwelche kommerziellen Arbeiten und filmische Betätigungen mit Inputs von anderen und für Ideen und Produkte zu werben, die mich nicht interessierten. All diese Aufträge hatten keine Nachhaltigkeit. Ein Film, einmal abgedreht und das Honorar ausbezahlt, das war es dann und man musste wieder von vorne beginnen. Akquirieren, „Klinken putzen“, auf den nächsten Job warten. Ich wollte unabhängig sein und von meiner Fotografie leben können, ohne in immer wieder wechselnden Auftragsverhältnissen zu stehen. Allerdings waren wir nach wie vor offen für grosse und interessante Aufträge von Leuten oder Institutionen, die Vera und mich aufgrund von bisherigen Arbeiten beauftragten und uns freie Hand liessen, gewissen Aufgaben und Themen nachzugehen und diese grafisch und fotografisch umzusetzen. 1995 kam eine solche Anfrage. Die Geographin Dr. Erika Suter fragte an, ob wir Lust hätten, auf den Spuren der Etrusker „zu wandeln“, diejenigen Orte zu untersuchen, die einst von Etruskern bewohnt und geprägt wurden und zu fotografieren, wie es heute an diesen Plätzen aussehe. Ja, wir wollten und fuhren 3500 km mit der Vespa kreuz und quer durch die Maremma (Rubrik Photography – Etruscan Places). Nach vielen Jahren kam endlich einmal, Anfang 1998, eine Aufgabe aus meiner eigenen Heimat: der Christoph Merian Verlag in Basel beauftragte uns, anlässlich des Schweizer Gastlandauftritts an der Buchmesse Frankfurt ’98, ein Buch über die Schweiz zu realisieren. Das Thema überliess man uns. Meine Rede: Je höher die Schweiz, desto besser. Es folgte eine faszinierende sechsmonatige Exkursion auf Skiern und zu Fuss ins Schweizer Hochgebirge (Rubrik Photography –Alpentraum – Swiss Alps). 2002 wurde eine englische Fassung des Alpentraum, im Auftrag von Präsenz Schweiz, in einer Zweitauflage von 6000 Exemplaren produziert und an alle Schweizer Botschaften auf der ganzen Welt verteilt. Daran schloss sich der nächste grosse Auftrag an. Das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) betraute uns mit der Produktion je eines Jahreska- lenders zu den Themen „Wasser“ und „Eis“. Ebenso wie der Alpentraum zuvor, waren diese, 2005 und 2006 realisierten Kalender mit je 20 000 Exemplaren, als Gastgeschenk für die Schweizer Botschaften weltweit gedacht (Rubrik Publicationen – Aqua).
Aber, wie ging es denn weiter mit Madagaskar nachdem die „Reise-Kabary“ mehrfach in deutsch, französisch und auf italienisch ausgestrahlt worden war?
Vera und ich beschlossen, nach Madagaskar zu reisen, um eine fotografische Geschichte zu erzählen. Ohne viel abzuwägen und nachzudenken, ob das wohl gelinge oder nicht, und auch ohne grossen finanziellen Rückhalt. Ein vages Ziel vor Augen, das war die Idee und der Ausgangspunkt. Und es gelang: Wann immer wir nicht mehr liquide waren, kehrten wir nach Europa zurück, und siehe da, eine Türe nach der anderen öffnete sich. Unterstützung bekamen wir von Air Madagaskar, der Schweizer Botschaft in Antananarivo, dem Centre Germano Malgache, der öffentlichen Hand. Wir gewannen auch Stipendien, die Presse war uns hold und wir spannten mit dem World Wildlife Fund und der Firma Ilford in England zusammen und nach fünf Jahren hatte unsere gemeinsame Geschichte „Vom Feuer zur Religion“ Gestalt angenommen. Alles fotografiert mit einer Hasselblad 500/C. Ausstellungen folgten u.a. auch in der Galerie des Deutsch-Französichen Kulturinstituts Unter den Linden in Berlin. Aber noch faszinierender für mich war, dass die Ausstellung auch wieder nach Madgaskar zurückkehrte. Im Jahr 2000 ging sie für 12 Monate auf Tournee durch 12 madagassische Städte, organisiert von der Alliance Francaise. In jeder Stadt wurden die Besucher gezählt. Am Ende des Jahres hatten über 120’000 Madagassinnen und Madagassen unsere fotografische Erzählung mit dem Namen Andohahela gesehen. (Rubrik Photography – Madagascar)
Das ist mehr als beachtlich. Hat sich so etwas je wiederholt?
Ja! Sechszehn Jahre später fand die damals begonnene Arbeit in Madagaskar zwischen 1988 und 1993 eine Fortsetzung. Wir haben uns immer wieder gefragt, woher kommen die Madagassen? Wo liegt ihr Ursprung? Wie sind sie auf diese Insel gekommen? Man dürfte meinen aus Afrika, denn der grosse Kontinent im Westen der Insel liegt ja mehr oder weniger in Reichweite. Doch die ersten Siedler, die vor gut 2000 Jahren übers Meer segelten, kamen von weiter her. Aller Wahrscheinlichkeit nach aus Sulawesi und anderen asiatischen Inselregionen, von dort, wo die Leute die Seefahrt beherrschten. Und ich fragte mich: Wo findet man heute noch eine Seefahrt, die jener von damals am nächsten kommt.
Und wo war das?
In Ostafrika. Im Jahr 2009 und 2010, fand ich was ich suchte: die Dhaus. Vor der Küste von Somalia, Kenia, Tansania und den Inseln Pemba, Zanzibar und Mafia. Die Dhauschiffahrt, eine traditionelle und durchaus intakte Segelschiffahrt mit Schiffen, die den damaligen Booten aus Südostasien sehr ähnlich gewesen sein mussten. Im buddhisti- schen Tempel in Borobodur gibt es fünf in Stein gehauene 1200 Jahre alte Abbildungen, die viele Ähnlichkeiten mit den heutigen Dhaus aufweisen. Ich fuhr für drei Monate als Passagier und Chronist mit den verschiedensten Dhaus zur See, über 1500 Seemeilen vor der Küste Tansanias, fotografierte, schrieb Texte. Diese Arbeit wurde als Buch und Ausstellung veröffentlicht. Da wiederum ist ein Anknüpfungspunkt an die Wanderausstellung in Madagaskar. In Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und der Schweizer Botschaft brachte ich die Fotografien ein Jahr später zurück nach Tansania. Auf robustem Baumwollstoff gedruckt, andere Bilder wiederum in Plastik eingeschweisst. Alles wind- und wasserfest konfektioniert. Vor Ort charterten wir eine Dhau und zeigten die Arbeit überall dort, wo ich im Vorjahr bereits gewesen war. Die Ausstellung wurde entweder auf jener Dhau oder an verschiedensten Veranstaltungsorten gezeigt. In Schulen, im House of Wonders in Stone Town in Zanzibar, in Restaurants, auf öffentlichen Plätzen, Busstationen und in Kulturzentren. Das war zweifelsohne meine spannendste und spektakulärste Wanderausstellung, die ich jemals auf die Beine gestellt habe. Zugleich erschien das Buch „Dhau – Beatus Piratus auf Sindbad’s Spuren“. (Rubrik Publications + Photography – Seafarers).
Gab es eine Fortsetzung?
Ja, 2012 und 2014 fuhr ich abermals zur See. Dieses Mal in Indonesien. Von Insel zu Insel mit den verschiedensten Schiffen. Eine spannende und abenteuerliche Reise. Allerdings wurde in Indonesien die Segelschifffahrt in den 70er Jahren grösstenteils durch die Motorschifffahrt ersetzt, ein Umstand, der nicht mehr wirklichen Aufschluss darüber gab, wie Schiffe früher bis nach Madagaskar gelangen konnten. Hierzu sind zwei Bücher erschienen: Surabaya Beat und Sea of the Ancestors. (Rubrik Publications + Photography – Seafarers).
Du hast nie eine Fotoschule besucht, aber hast Du je Fotografie oder Film unterrichtet?
Anfang 1995 bekam ich eine Anfrage von der Firma Ilford (Film und Fotopapier Produzent), ob ich Lust und Zeit hätte, in ihrem Namen wochenendweise Fotoworkshops zu leiten. Damals liefen die Geschäfte schlecht für mich, ich sagte sofort zu und arbeitete ein ausgeklügeltes Programm aus, das auf viel Interesse stiess. Je mehr ich unterrichtete, je besser gefiel mir diese Aufgabe und allmählich begriff ich, wie wichtig es ist, Wissen weiterzugeben und zu vermitteln. Einige Zeit später kam eine Anfrage vom Goethe Institut in Kamerun, ob ich bereit wäre, mit 30 Studentinnen und Studenten einen Fotoworkshop mit dem Thema „Sozial relevante Fotografie“ und an der Elfenbeinküste „Künstlerische- und Dokumentarfotografie” zu unterrichten. Analog, mit Dunkelkammer und Aufnehmestudio. Ich bereitete mich minutiös auf diese neue Aufgabe vor und flog drei Monate später mit drei Vergrösserungsgeräten, Kameras, Fotopapier und Fotochemie nach Westafrika und begann mit dem Unterricht. Es ginge jetzt zuweit, im Rahmen dieses Interviews auf Details einzugehen, aber der Erfolg war verblüffend. Über Jahre – bis zu Pandemie – war ich vom Goethe Institut, Filmhochschulen, Fotoinstituten eingeladen, auf der ganzen Welt Fotografie und Film zu unterrichten. Ich unterrichtete in vier verschiedenen Sprachen, in Ägypten, Ghana, Senegal, Togo, Kamerun, der Elfenbeinküste, Kenya. Indien, Thailand, Kamerun. Chile, Kolumbien, Mexiko und Uruguay. Es war eine enorme Bereicherung, für die angehenden professionelle FotografInnen und Filmschaffende. Aber auch für mich!
Um die Jahrtausendwende hast Du ein ganz anderes Thema bearbeitet. Um was ging es da?
Als Neunzehnjähriger machte ich mich wie bereits erwähnt auf für meine erste grosse Reise. Per Autostopp, von Laos herkommend, wurde ich in einen Autounfall verwickelt und schwer verletzt. Damals tobte der Vietnamkrieg und die Spitäler waren mit ame- rikanischen Kriegsverletzten überbelegt. Also brachte man mich in ein buddhistisches Kloster, wo ich von meinen Verletzungen geheilt wurde. Fasziniert vom Leben der Mönche hatte ich mir damals gesagt, eines Tages würde ich als Fotograf nach Südostasien zurückkehren und eine Geschichte über den Theravada Buddhismus erzählen.
30 Jahre später bin ich zurück nach Asien, zuerst nach Thailand, dann nach Burma, Sri Lanka, Indien, Laos und Kambodscha. Auch diese Arbeit hat wiederum fünf Jahre lang gedauert, das Resultat war das Buch Oase der Stille und abermals eine grosse Wanderausstellung und ein Einblick in eine ganz andere Welt und Lebensphilosophie.
Waren die Seefahrts-Geschichten Deine letzte grosse Arbeit?
Aber nicht doch! Kurz nachdem der erste Teil der Geschichte über die Dhaus unter Dach und Fach war und ich zurück in Basel, fuhr ich zur Berlinale. Das war im Februar 2010, Werner Herzog war Jurypräsident des Berliner Filmfestivals. Er und seine Frau Lena luden mich zum Eröffnungsfilm ein. Nach dem Film spazierte ich die Treppe hinunter und sehe vor mir die Regisseurin Ulrike Ottinger, Regie- und Produktionsassistentin Anja S. Zäringer, den Oskarpreisträger Volker Schlöndorff und den Kameramann Michael Ballhaus. Da schoss mir durch den Kopf: Was machen all meine Vorbilder von damals heute? Dies war der Startschuss für meine umfassende Arbeit über den Neuen Deutschen Film. 55 Filmerinnen und Filmer habe ich in der Folge interviewt und por- traitiert. Ein wahres Mammutprojekt, das zehn Jahre in Anspruch nahm und erstmals in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München gezeigt wurde. Gefolgt von einer um vielfaches erweiterten Ausstellungsfassung mit einem reichen Beiprogramm im Willy Brandt Haus in Berlin. Dann kam die Pandemie und nach 30 Tagen mit 5000 Besuchern wurde die Ausstellung von einem Tag zum nächsten geschlossen. (Siehe auch Neuer Deutscher Film unter Photography und Aufbruch ins Jetzt und Vor der Klappe ist Chaos unter Publications).
Und ich steckte in Berlin fest, niemand getraute sich ausser Haus und die Schweizer Regierung zog laut Schweizer Radio in Erwägung, alle über 60-jährigen in Quarantäne zu schicken, die in der Folge ihr Haus bis auf weiteres nicht hätten verlassen dürfen. Da blieb mir nichts anderes übrig, als in Berlin abzuwarten, was da komme. Ich musste allerdings nicht lange warten. Kurz darauf bekam ich einen Anruf von der Bildhauerin und Filmemacherin Danit, die vorschlug, sämtliche 76 Kinos von Berlin im Lockdown zu fotografieren. „So etwas gibt es nie wieder, es sind einmalige Momente, das müssen wir fotografisch festhalten!“ Wir stiegen aufs Fahrrad, es war kalt, die Strassen und die Stadt wie ausgestorben und innert Monatsfrist legten wir etwas über 1000 km zurück. Als die bis dahin gesperrte Grenze zum Bundesland Sachsen wieder offen war fuhren wir nach Leipzig zum Verlag Zweitausendeins und präsentierten unseren Beitrag zur Filmkultur der Stadt Berlin. Ein Jahr später erschien unser gemeinsames Buch Film- Stills. Ausgerechnet in dem Moment als die Pandemie wiederaufflammte, und die Restriktionen wieder zunahmen. (Siehe auch Publications – Film-Stills).
Aber Danit und ich, wir liessen uns nicht unterkriegen, wir wollten etwas tun, was dem Erhalt des Kinos zugute kam. Wir produzierten gemeinsam den 30-minütigen Film „Kino und Film in Zeiten einer Pandemie“, organisierten eine grosse Plakatkampage für die Kinos in der Stadt Berlin (ermöglicht Dank der grosszügigen Unterstützung der Schweizer Botschaft in Berlin) und zeigten unsere filmischen und fotografischen Resultate über die Pandemie im Bikini-Haus. Mitten in der sog. zweiten Welle, nur für maskierte Gäste versteht sich!
Wie ging es weiter?
Zurück in der Schweiz gab ich ein Interview, von Home Office zu Home Office sozusagen. Dieses Gespräch wurde auch in Beelitz gehört und es folgte eine Einladung in der Heilstätte Beelitz eine grosse Ausstellung zu realisieren. So enstand die Ausstellung Stein um Stein mit eigens für die Ausstellung produzierten Skulpturen von Danit und Fotografien von magischen Plätzen von allen Ecken und Enden der Welt von mir. Zugleich produzierte ich einen Film über die Arbeitsweise der Bildhauerin Danit und mit einem Mal war die Idee wieder da, neben der Fotografie abermals kleine und unprätentiöse Filme zu realisieren. Basierend auf eigenen Ideen und Bedürfnissen.
Haben solche Kurzfilme in eigener Sache jemals etwas gebracht?
Es kommt drauf an. Manchmal ja, manchmal weniger. Die letzten beiden Kurzfilme sind kleine Erfolgsgeschichten. Der eine, über unsere damalige Fotozeitung The Village Cry war noch keine 24 Stunden auf Vimeo und YouTube hochgeladen (siehe Rubrik Film auf der Webseite), als bereits eine Anfrage von meinem Verleger aus Jakarta kam (Siehe Photography Seafarers und Publications Surabaya Beat), ob er The Village Cry neu auflegen dürfe, sämtliche Ausgaben in Buchform. Der andere Kurzfilm, Along my Way (siehe Rubrik Film), wurde vom Direktor des Filmfestivals in Tanger gesehen und umgehend kam eine Anfrage, ob wir nicht mit einem Film über die Dhau-Schifffahrt im Indischen Ozean am Festival teilnehmen wollten. Wird gemacht, Beides!
Interviewpartner: Andrea Moretti und Graham W. Fauci
(Rubrik Publications + Photography).